Frage:
Wie viele Arten von Bid‘ah (Neuerungen) gibt es? Ist jede Bid‘ah eine Irreleitung? Wenn ja, sind die diakritischen Zeichen (Harakaat), welche in der Niederschrift des Qur’aan benutzt werden, wie das Dammah (ُ , welches für den Vokal „u“ steht), das Fathah (َ , welches für den Vokal „a“ steht), das Kasrah (ِ ,welches für den Vokal „i“ steht), das Sukun (ْ , um die Vokallosigkeit dieses Buchstabens anzuzeigen), ein Nuqtah (Punkte und Trema über und unter arabischen Buchstaben um sie voneinander zu unterscheiden) oder Nabrah (Träger, auf dem der Buchstabe Hamzah ء im Falle von Kasrah platziert wird) eine Bid‘ah, da der Quran während der Lebenszeit des Gesandten Allahs (sallallahu alayhi wa sallam) ohne diakritische Zeichen niedergeschrieben wurde? Ist das Schreiben dieser diakritischen Zeichen eine Bidah? Ist diese Bid’ah eine Irreleitung?

Antwort:
Bid‘ah (d.h. eine erfundene oder neu eingeführte Sache) wird in:

  • Bid‘ah in der Religion {بدعة دينية} und
  • Bid’ah im Normalen {بدعة عادية} eingeteilt.

Die normale Bid‘ah umfasst alle neu hergestellten Produkte und Erfindungen (Anmerk. wie z.B. technische Errungenschaften, wie Flugzeuge, Autos, Elektrizität, usw.). Das grundsätzliche Urteil bezüglich der normalen Bid’ah ist, dass sie erlaubt ist, es sei denn dass es dazu ein anderes Urteil von den Schari’ah-Beweisen gibt.

Bezüglich der Bid‘ah in der Religion: Sie umfasst alles, das neu in der Religion erfunden wurde und Allahs Gesetzgebung widerspricht, wie die gemeinschaftlich rezitierten Adhkaar, die Bid‘a der Geburtstagfeiern, mitternächtliche Anbetungen im Monat Scha‘baan und dem 27. Rajab, die Trauerzeremonie, welche 40 Tage nach dem Tod einer Person abgehalten wird, das Rezitieren des Qur’aan für den Toten vor seinem Grab, usw.
Jedoch gibt es keine Klassifizierungen einer Bid’ah in der Religion in Bezug auf ihr Urteil. Grundsätzlich gilt:

{كل بدعة ضلالة}

„Jede Bid’ah eine Irreleitung“, denn es wird authentisch vom Propheten (sallallahu alayhi wa sallam) berichtet, dass er sagte:

{مَنْ أَحْدَثَ فِي أَمْرِنَا هَذَا مَا لَيْسَ مِنْهُ فَهُوَ رَدّ.}

„Wer etwas in diese unsere Angelegenheit (den Islam) einführt, das nicht von ihr ist, dem wird es zurückgewiesen.“ [1] Überliefert bei Al-Bukhari und Muslim. In einem anderen Bericht wird berichtet, dass er (sallallahu alayhi wa sallam) sagte:

{مَنْ عَمِلَ عَمَلًا لَيْسَ عَلَيْهِ أَمْرُنَا فَهُوَ رَدٌّ.}

„Wer eine Tat ausführt wofür es keinen Befehl von uns gibt, dem wird sie zurückgewiesen.“ [2] Überliefert bei Muslim. Es gibt einen anderen Bericht von Al-`Irbaad ibn Saariyah (radiayaAllahu anhu) welcher sagte:

{وعظنا رسول الله صلى الله عليه وسلم موعظة بليغة، وجلت منها القلوب وذرفت منها العيون. فقلنا: يا رسول الله، كأنها موعظة مودع فأوصنا. قال: أوصيكم بتقوى الله والسمع والطاعة وإن تأمر عليكم عبد حبشي, وإنه من يعش منكم فسيرى اختلافا كثيرا. فعليكم بسنتي وسنة الخلفاء الراشدين المهديين عضوا عليها بالنواجذ، وإياكم ومحدثات الأمور، فإن كل بدعة ضلالة.}

„Eines Tages betete uns der Gesandte Allahs (sallallahu alayhi wa sallam) vor, danach drehte er sich zu uns um und gab uns eine ernsthafte Ermahnung, die unsere Augen mit Tränen überfließen und unsere Herzen erzittern ließ. Jemand sagte: ‚Oh Gesandter Allahs! Es sieht wie eine Abschiedsermahnung aus, bitte rate uns daher.‘ Er sagte: ‚Ich rate euch, Allah zu fürchten, und zu hören und zu gehorchen, selbst wenn es ein abessinischer Sklave sein sollte (der als Führer über euch eingesetzt wurde), denn wer immer von euch nach mir leben sollte, wird viele Meinungsverschiedenheiten erleben. Deshalb ermahne ich euch, an meiner Sunnah festzuhalten und an der Sunnah der rechtgeleiteten Kalifen; haltet fest daran und beißt euch mit euren Backenzähnen daran fest. Hütet euch vor den neu-erfundenen Dingen (in der Religion), denn jede Bid’ah ist eine Irreführung.‘“ [3] Überliefert bei Ahmad, Abu Dawud, Al-Tirmidhy und Ibn Majah.

Bezüglich der Punkte und diakritischen Zeichen (Harakaat), die im Qur’aan angewendet werden, so werden sie nicht als Bid’ah angesehen, obwohl sie nicht zur Lebzeit des Propheten (sallallahu alayhi wa sallam) existierten. Dies wird als Angelegenheit von öffentlichem Nutzen {المصالح المرسلة} bezeichnet, welches durch die Schar’i-Beweise unterstützt wird, um der Pflicht, den Qur’aan im Allgemeinen zu bewahren, zu genügen. Wir empfehlen dir, ‚Al-I’tisam‘ {الاعتصام}, zu lesen, ein Buch, welches von Asch-Schaatibii geschrieben wurde, worin diese Angelegenheit ausführlich erklärt wurde.

Und von Allah ist der Erfolg. Mögen Allahs Salaah und der Salaam auf unserem Propheten, seiner Familie und seinen Gefährten sein.


Das Ständige Komitee für wissenschaftliche Forschung und Rechtsfragen
(`Abdullah ibn Qa`ud , `Abdullah ibn Ghudayyan, `Abdul-`Aziz Bin Baz)

alifta.net> Fatwas> Rajab Fatwas> Kategorien der Bid'ahs> Zweite Frage der Fatwa Nr. 7721; Band 2, Seite 464-465


[1] Al-Bukhari, Sahih, Buch: Aussöhnung, Nr. 2697; Muslim, Sahih, Buch: Gerichtsbeschlüsse, Nr. 1718; Abu Dawud, Sunan, Buch: As-Sunnah, Nr. 4606; Ibn Majah, Sunan, Einleitung, Nr. 14; Ahmad, Musnad, Band 6, S. 256.
[2] Muslim, Sahih, Buch: Gerichtsbeschlüsse, Nr. 1718; Ahmad ibn Hanbal, Musnad, Band 6, S. 180;
[3] Al-Tirmidhy, Sunan, Buch: Wissen, Nr. 2676; Abu Dawud, Sunan, Buch: Al-Sunnah, Nr. 4607; Ibn Majah, Sunan, Einleitung, Nr. 42; Ahmad, Musnad, Band 4, S. 126; Al-Darimy, Sunan, Einleitung, Nr. 95.